Ö1-Radiokolleg Beitrag vom 6. Juni 2023

Unter der Beton- oder Asphaltdecke befindet sich je nach Anforderung der jeweiligen
Nutzung verdichtetes Geröll und andere Schichten, die dem grauen Untergrund
Festigkeit verleihen sollen. Doch was war davor?

Die ursprüngliche Zusammensetzung des Bodens ist vielfältig, je nach Region, Lage
und Pflanzenwuchs. Boden ist nur die äußerste, im Regelfall belebte Schicht der
Erdkruste. Belebt, weil unzählige Organismen und Kleintiere im Boden leben. Sie
sind Teil eines komplexen, im Erdreich verborgenen Ökosystems und haben sich
über Jahrtausende aufgebaut. Die Entwicklung einer ein Zentimeter dicken
Humusschicht, kann zwischen 100 und 300 Jahre dauern. Boden speichert CO2. Er
dient als Filter, durch den der Regen ins Grundwasser sickert. Boden ist lebendig,
und so gibt es genaue Bestimmungen, wie der Bodenaushub einer Baustelle
zwischengelagert werden soll, damit er dann wieder rundherum oder an anderer
Stelle verteilt werden kann. Zwar ist dann der „Originalaufbau“ nicht mehr gegeben,
aber – laut Bodenökologie – besser als nichts. Und: ein „natürlicher“ Boden heizt sich
nicht auf wie Asphalt oder Beton.

Laut EU-Taxonomieverordnung darf auf „Acker- und Kulturflächen mit mittlerer bis
hoher Bodenfruchtbarkeit und unterirdischer biologischer Vielfalt“ gar nicht neu
gebaut werden. In Österreich dürfte laut Übereinkommen nur auf bereits gewidmeten
oder bebauten Flächen neu gebaut werden. Doch die Praxis sieht anders aus.

(Quelle: Ö1 Radiokolleg-Podcast)


Architekturzentrum Wien

https://www.azw.at/de/

Wiederbelebung des Bodens
Jeder menschliche Eingriff bedeutet eine Veränderung für das betroffene Ökosystem. Wenn also die Rede ist vom „Entsiegeln“ des Bodens, dann kann der vorige Zustand nicht mehr annähernd hergestellt werden. Es entsteht ein neues Ökosystem, in dem sich wieder neue Kleinstlebewesen ansiedeln und vermehren. Der Boden wird wieder zum Filter für das Grundwasser. Doch nicht nur das ökologische Gleichgewicht freut sich, wenn der Grad der Bodenversiegelung abnimmt. In Ortschaften, die sich bewusst für eine Wiederbelebung der Ortskerne einsetzen und keine neuen Flächen verbauen wollen, herrscht reges Treiben. Ohne Kreisverkehre und Einkaufszentren rund um die Gemeinden spielt sich das Leben wieder
im Ortszentrum ab. Dafür braucht es gemeinsame Konzepte, die sich mit Leerstand genauso auseinandersetzen wie mit Verkehr und Schulen. Bürgermeister von Gemeinden, die diesen Weg gehen, berichten über positive Erfahrungen. Freilich wäre noch viel mehr möglich – auch in den Großstädten, wo die Umsetzung neuer Stadtquartiere dann doch wieder von innovativen Ursprungsideen in der Planungsphase abweichen.
Ohne ein anderes Mindset in unseren Alltagsgewohnheiten, in unserem Wunsch nach individueller Lebensgestaltung als Synonym für Freiheit, in einem ästhetischen Anspruch, der Angst vor Haftungsfragen im Notfall uvm. wird sich an der lustvollen Verbauung immer weiterer Grünflächen in Österreich in den nächsten Jahren wenig ändern.

(Quelle: Ö1 Radiokolleg-Podcast)

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